Valaebal, Freie Stadt des Drachenreiches
Seit längerem kann ich heute mal wieder eine Reise in ein mir unbekanntes Land machen. Und ich freue mich auf meinen Besuch dort, auch wenn ich leider keine Zeit haben werde, die Drachen zu bewundern. Aber gut, deswegen bin ich ja eigentlich auch nicht dort. Für mein Portal habe ich nur ein paar Koordinaten bekommen, ich weiß also gar nicht genau, wo ich eigentlich rauskommen werde. Ohh … eine Bibliothek. Na wenn das nicht ein ansprechender Interviewort ist. Und so viele Bücher, da schlägt das Leserherz doch gleich ein wenig höher. Und da kommen auch schon zwei Personen auf mich zu – Aislyn und Niall. Aislyn ist etwas kleiner als der Halbdrache Niall und hat lange, rotbraune Haare. Sie ist noch keine zwanzig Jahre alt. Der einzige Unterschied zu mir, der spontan auffällt, ist, dass ihre Haut bisschen metallisch schimmert. Minimal. Vielleicht ist es aber auch das Licht in der Blibliothek. Niall trägt die Robe der Bibliotheksmitarbeitenden. Diese erinnert mich vage an die langen, edlen Priesterroben in Computerspielen. Er hat an bestimmten Körperstellen Schuppen, die auf seine drachischen Gene hinweisen. Sein Kopf ist ein bisschen länglicher als man erwartet. Beide lächeln mich an.
Ich: Hallo ihr beiden. Freut mich, dass ich euch besuchen darf. Und diese Bibliothek ist wirklich der absolute Wahnsinn.
Niall (schaut sich stolz um, als gehöre die Bibliothek ihm): Oh ja, ich mag sie auch sehr. Sie ist das Beste, was diese Stadt zu bieten hat. Komm mal mit!
Aislyn (nickt zustimmend): Finde ich auch.
Bevor wir mit dem Interview beginnen, zeigen mir die beiden aber noch mit Begeisterung einige prächtige Räume der Bibliothek. Hach, ich würde gerne länger hier verweilen, aber leider müssen wir dann doch zum heutigen Interview kommen. Die beiden führen mich in eine Lesenische und sehen mich dann erwartungsvoll an.
Ich: Vielen Dank, dass ich euch besuchen und ein wenig zu eurem Leben ausquetschen … ähhmm … interviewen darf. Zuerst habe ich eine Frage, die vielleicht etwas persönlicher ist, Niall. Du bist ein Halbdrache. Hast du denn auch drachische Fähigkeiten? Generell scheinen Drachen bei euch ja eine große Bedeutung zu haben.
Niall: Was sind denn drachische Fähigkeiten für dich?
Ich: Zum Beispiel Feuer speien. Oder fliegen können. Sich komplett in einen Drachen zu verwandeln. Vielleicht auch eine magische Begabung.
Niall (lächelt): Verstehe. Feuer speien und fliegen können nur die Flugdrachen. Dafür können sie aber nicht reden, wie wir – also Laute zu einer Sprache artikulieren.
Aislyn: Wollte gerade sagen, meiner redet ganz schön viel. Nur verstehe ich sein Gebrabbel nicht.
Niall: Ich würde sagen, die Flugdrachen sind auf der Tierebene der Erde (zu Aislyn gewandt). Hast du Tiere in „Simas Fluch“ gesehen?
Aislyn (überlegt): Pferde! Aber der Besitzer, Carl, war gruselig.
Niall: Oh ja. Aber … was mich selbst betrifft, so bin ich in der Lage, mit einem langen Magierstab Zauberkunst zu wirken, ich benutze ihn allerdings nur in der Gefängnisabteilung. Hmm. Es gibt da noch eine Magie, die ich täglich wirke. Und zwar halte ich die Illusion aufrecht, ich sei den Menschenähnlichen ähnlich. (er hebt die Hände, bevor andere etwas sagen können) Aber bevor es Fragen gibt, meine natürliche Gestalt hat wesentlich mehr Schuppen, weniger Haut und nicht nur einen Kopf.
Aislyn (leise): Ist das bei allen Halbdrachen so?
Niall nickt.
Ich: Das würde ich ja zu gerne mal sehen, aber dafür fehlt uns jetzt doch ein wenig die Zeit. Als nächstes würde ich gerne wissen, was ihr beruflich macht. Einer von euch scheint ja zumindest hier zu arbeiten, sonst hätten wir uns wohl auch nicht an diesem Ort getroffen.
Niall: Ich bin Bibliothekswärter.
Aislyn (stolz): Ich bin Studentin, wie ich in „Simas Fluch“ von Linda als geläufiges Wort für die Erde weiß. Deswegen wollte ich ja herausfinden, wieso die Lehrpersonen am Ende der letzten Akademieveranstaltung immer „Mögest du vor Simas Fluch sicher sein“ sagen.
Ich: Bibliothekswärter könnte ich mir als Beruf auch gut vorstellen. Studentin war ich tatsächlich schon. Ich habe auch gehört, dass Bücher für euch eine besondere Bedeutung haben. Ihr könnt in sie reisen, oder? Wie kann ich mir das vorstellen, wie läuft sowas ab? Und was erlebt man denn so in Büchern?
Aislyn (lächelt): Nun, die einfachste Version ist: man schlägt es auf, tippt auf „Start“ und dann ändert sich die Umgebung, man steht nicht mehr in der Bibliothek, sondern vielmehr in der kreierten Buchwelt.
Niall: Genau, etwas wissenschaftlicher ausgedrückt: eine Person wird quasi in die programmierte Matrix des Buches transferiert.Aislyn: Außen eingesogen und innen wieder zusammengesetzt, lernten wir mal in der Lehranstalt – ganz simpel.
Niall (zu mir gewandt): Möchtest du es ausprobieren?
Ich: Also in der Theorie würde ich das sehr gerne ausprobieren, aber ich fürchte, dass mir dafür ein bisschen die Zeit fehlt. Es gibt mir jedoch einen guten Grund, noch einmal wiederzukommen und es auszuprobieren. Beim Reinkommen habe ich dort drüben ein Hinweisschild für einen abgesperrten Bereich gesehen. Die Frage ist vielleicht ein bisschen neugierig … was befindet sich denn dort?
Niall (dreht den Kopf in Richtung des Schildes): Da geht es in die Gefängnisbuchabteilung.
Aislyn (räuspert sich): Mit Büchern, die Gefängniszellen darstellen.
Ich: Gefängniszellen? Das klingt wirklich gruselig. Was muss man denn verbrochen haben, dass man so eine Strafe bekommt? Und wie sieht die Strafe denn dann genau aus?
Niall: Nun, es ist auf Cloeffhê üblich, Verurteilte in Bücher unterschiedlicher Strafmaße zu sperren. Es spart Platz, weil in diese Bücher mehrere Wesen passen und dadurch, dass sie ihre Gestalt ändern und in gewisser Weise zu Buchcodeseiten werden, leben sie ohne Nahrung und brauchen auch sonst wenig. Bis sie eben wieder herauskommen.
Aislyn (schaut aufmerksam zu Niall): Ist schon mal ein verurteiltes Wesen wieder aufgetaucht?
Niall: Durchaus. Meist aber bei den geringeren Strafmaßen. Bei „Simas Fluch“ bisher nicht. (wirkt nervös)
Ich: Das klingt irgendwie gruselig. Und andererseits aber auch wirklich platzsparend, denn man braucht ja keine Gefängnisse. Was hat es denn mit Simas Fluch auf sich?
Aislyn (guckt zu Niall): Das habe ich mich eben auch gefragt. Deswegen landeten wir ja in dieser ... Geschichte. Ich habe aus der Handlung mitgenommen, dass man seine Taten stets hinterfragen und den Wesen, die um einen herum leben, egal ob sie sprechen, grunzen oder hochfrequente Töne äußern, mit Achtung begegnen sollte. Besonders, wenn es sich um seinesgleichen handelt. Sonst kann es passieren, dass man selbst die Ungerechtigkeit erfährt, die man ihnen antut. Ausbeutung, Zermürbung, Gefühlskälte, so etwas.
Niall (wird vom Halbdrachen zum Erklärbär): Nun, es ist eine gewisse Redewendung in Valaebal geworden, weil früher etliche Urteile ergingen, die Simas Fluch als Strafe vorsahen. Schlichtweg deshalb, weil es nur dieses eine Gefängnisbuch zu diesem Thema gibt und bisher nie eine Person je wieder herauskam. Alle Delinquenten haben eine gewisse Angst da zu lan-
Aislyn (interessiert): Entschuldige, wenn ich unterbreche, aber wo sind diese ganzen Verurteilten in dem Buch? Weil die Spielfiguren können doch nicht mehrfach belegt werden, oder?
Niall: Das könnte Cody wissen.
Aislyn (seufzt): Na gut, dann muss ich sie später fragen. Also, du warst dabei zu erzählen, dass alle eine gewisse Angst haben? Welche denn?
Niall (guckt in die Runde): Also es geht das Gerücht um, dass die Simas Fluch - Gefängniszelle eine der härteren und brutalen ist. Ich kann aus eigener Erfahrung sagen: Ja, es ist heftig, aber die anderen stehen vermutlich nicht wirklich nach. Ich verzichte allerdings darauf, dies zu testen.
Aislyn (grübelt): Merkwürdig, Cody ist so eine nette Person. Wie kann sie so was coden?
Niall (bedeutungsvoll): Du wirst es irgendwann herausfinden.
Ich: Okay, das klingt immer noch alles ein bisschen mysteriös. Aber ein bisschen verstehe ich schon, was ihr meint. Zeit für eine kleine Schnellfragerunde. Lieblingsbuch?
Aislyn (schwelgt): Ich mag sehr gern „Tanz auf dem Zimtstern“, ein Erlebnis-Buch von March Was. Darin geht es darum, die Bäckerei eines Vorfahren zu übernehmen und über diese süßen Teilchen herauszufinden, was eine Person im Leben selbst gern tun möchte. Und wo der Platz im Leben der Spielenden ist. Weil jedes Teilchen spezielle magische Fähigkeiten hat. Aber ich möchte nicht zu viel verraten. Vielleicht probieren Sie das mal aus!
Niall: Ich mag die Enzyklopädie der Geister. Immer mal wieder wird die Bibliothek von Wesen aus den Büchern heimgesucht, entweder durch Fehler in den Programmiercodes oder wenn sich ein Buchprogramm verselbstständigt … da ist es gut, nachlesen zu können, was man als Bibliothekswärter dagegen tun kann.
Aislyn (interessiert): Passiert das nur mit Wesen?
Niall (verwundert): Ja.
Ich: Also das Buch über Geister finde ich echt cool. Schade, dass es das in meiner Welt nicht gibt. Lieblingsessen?
Niall: Kann mich nicht entscheiden. Ich mag viele Dinge, in der Bibliothek kaue ich in Pausen immer an Trappiol herum. Nahrhaft, nicht fettig, krümelt nicht. Beruhigt die Halsschleimhäute. Okay, jetzt klinge ich wie mein eigener Halbdrachengroßvater. Aber das Zeug ist echt gut (bietet mir und Aislyn etwas an)
Aislyn (kaut): Kokosrübchen aus den Stadtgärten geerntet – ein Traum!
Ich: Danke. Schmeckt nicht schlecht. Gruseligstes Erlebnis bei der Reise in Bücher?
Niall und Aislyn gleichzeitig: Simas Fluch.
Aislyn: Aber nicht nur der Fluch an sich, auch zu erleben, dass Bücher nicht einfach jederzeit abgebrochen werden können. Der Zwang, etwas tun zu müssen und nicht nur – wie in den Erlebnisbüchern – zu erleben (streicht über ihre Arme, weil sich die Härchen aufstellen)
Niall starrt vor sich hin und schweigt.
Ich: Das klingt wirklich gruselig. Eine letzte Frage habe ich noch an euch, dann muss ich mich leider schon wieder auf den Heimweg machen. Wenn ihr die Autorin eures Buches treffen könntet, was würdet ihr ihr sagen wollen?
Aislyn: Ich würde zuerst wissen wollen, ob Cat wirklich nur ein Buchcharakter ist. Oder ob da auch eine Person dahintersteckt, vielleicht jemand, der eine Strafe abbüßt.
Niall: Warst du nicht am Ende Cat, als sie Linda erzählte, was vor sich ging bevor sie verschwand?
Aislyn: Ja, das stimmt. Aber … ach ich weiß auch nicht … ich vermisse sie einfach.
Niall (nickt verständnisvoll): Ich würde gerne wissen wollen, ob sie sich selbst in dieses Straf-Buch trauen würde. Und wieso sie meinen Bruder dauernd verschwinden lässt.
Aislyn (erschrocken): Er ist schon wieder weg?
Niall: Hm.
Ich: Das werde ich ihr auf jeden Fall ausrichten. Vielen Dank, dass ich euch beide interviewen durfte und ihr mir einen Einblick in eure Welt und die der Bücher gegeben habt. Und ich hoffe, dass ihr aus euren Reisen in die Bücher immer heil zurückkommen werdet.
Niall: Bei den allermeisten gibt es keine Gefahr. Solange man nicht neugierigerweise einfach so in ein Gefängnisbuch springt (schaut Aislyn an)
Aislyn: Ich habe meine Lektion gelernt. Allerdings … (druckst herum)
Niall: Was ist los? (besorgt)
Aislyn: Seit wann kommen Dinge aus dem Buch von allein mit in unsere Welt?Niall: Welche Dinge? Wie, von allein? Die Gegenstände im Buch sind nicht in unsere Welt überführbar, soweit ich weiß.
Aislyn (sachlich): Ich habe neuerdings die Amphore von Alberts Terrasse in der Vergangenheit bzw. Kellerraum der Zukunft in meinem Zimmer stehen.
Niall: Hat sie einen Riss?
Aislyn nickt langsam.
Ich kann mich gerade noch verabschieden, als Niall sich entschuldigt und losstürmt. Aislyn geleitet mich derweil zum Ausgang. „Es wird sicher eine einfache Lösung dafür geben“, versuche ich etwas Hilfreiches zu sagen, während ich immer noch staunend durch die große Bibliothek laufe. Ich würde mich gerne noch ein wenig länger umsehen und das Reisen in Bücher ausprobieren, aber bei der Aufregung gerade ist es wohl nicht der richtige Momente. Dann reise ich eben nochmal hier her.
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Dann solltet ihr euch das Buch „Gefangen zwischen den Zeilen. Simas Fluch“ von June Is mal genauer anschauen. Mehr Informationen findet ihr auch auf der Verlagsseite (👉 hier). Oder ihr stöbert mal in meiner Rezension 😉
Was für ein tolles Bild Interview. Interessanter Charaktere und scheinbar ein ebenso tolles Buch. Danke für den Tipp — Drachen, Bücher, Bibliotheken, da werde ich sicher bald schwach.
AntwortenLöschenLieben Dank :) freut mich, dass ich dich neugierig machen konnte :)
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